Jaime Saenz Die Räume

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Eine liebevolle Satire über die bolivianische verarmte Mittelschicht und ihren Hang zum... mehr
"Jaime Saenz Die Räume"

Eine liebevolle Satire über die bolivianische verarmte Mittelschicht und ihren Hang zum Mystizismus
Zwei alte Frauen, die nur ‚Senora‘ und ‚Tante‘ genannt werden, leben in ärmlichen Verhältnissen, umgeben von einem Panoptikum skuriler Figuren, wie z.B. Socrates Mazuelos, der sich selbst als Hexer bezeichnet und auf der Suche nach einer Schrift ist, die den genauen Zeitpunkt des Weltuntergangs enthält.
Als die Senora stirbt, vermietet die Tante einen Teil der Räume an die Brüder Chumacero, zwei bekannte Schreiber, die jedoch des Schreibens nicht mächtig sind. Zu diesem Zweck haben sie Soledad Vaca als Sekretärin angestellt. Diese gewinnt das Herz der Tante und soll auf deren Wunsch ebenfalls in die Wohnung ziehen. Doch Soledad Vaca stirbt beim Umzug durch einen Autounfall. Die Tante, erbost über so viel Ungerechtigkeit, wirft die Brüder Chumacero aus ihrer Wohnung. Ihr Alleinsein ist jedoch nicht von Dauer. Der Matratzenmacher Paucura möchte künftig von der Hellseherei leben, und die Tante soll für ihn die Werbetrommel rühren. Nachdem Paucura zwei metaphysischen Fragen zur Zufriedenheit der Tante beantworten kann, willigt sie ein. Das Geschäft mit der Hellseherei floriert. Zu diesem Duo stößt der Dichter Jaime Arlo, der, inspiriert durch die Tante, ein Gedicht über den Geruch des Alters schreibt, und ansonsten metaphysische Gespräche mit Paucuro führt. Bei einem dieser Gespräche vertraut Paucuro ihm an, daß er den Todestag der Tante vorhergesehen hätte. Doch nicht die Tante stirbt, sondern er selbst erhängt sich an diesem Tag. Übrig bleibt einmal mehr die Tante, die verbittert bemerkt: „Alle sterben, nur ich nicht.“


Saenz ist ein Meister des Verbergens. Hinter seinem Humor verbirgt sich eine bissige Ironie, hinter der Ironie die Liebe zum Menschen. Im scheinbar geringen steckt das Wichtige, während das scheinbar Wichtige sich als naive Illusion erweist. Die Suche nach Sinn und Gewißheit, die alle Figuren umtreibt, wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Und so wird das zum Wichtigen, was keine der Figuren sonderlich wichtig nimmt: das Leben an sich, oder in Saenz Denkweise: das Anfüllen der Räume mit Leben.


Leseprobe

„… nach langem Nachdenken kamen sie zu dem Schluß, daß der Farn verflucht war
und daß er den Finsteren, den Bösartigen und den Infra-Roten als Obdach diente,
die aus den Unterwelten verjagt worden waren,
und die nur deshalb lebten, um Unglück, Krankheit und Tod zu säen.
So kam es, daß die Tante und die Senora, mit Handschuhen und Desinfektionsmitteln bewaffnet,
den verfluchten Farn packten und ihn in einen Sack steckten
und unverzüglich in den Fluß warfen.
Nur daß wenige Tage danach die Senora und die Tante begannen, den berühmten Farn zu vermissen – am Fenster war eine Leere spürbar.
Und in der Absicht, diese Leere zu auszufüllen, stellte die Senora einen Leuchter hin und die Tante eine Tasse, jene eine Puppe und diese einen Almanach.
Und dann legten sie einen Gummiball dazu und dann noch eine Fliegenklatsche, und dann stellten sie einen Petroleumkocher hin und noch viele andere Sachen.
Aber nichts davon erfüllte die gewünschte Aufgabe – es war unmöglich, die verteufelte Leere auszufüllen.“

Rezension

Jaime Saenz
Der Herr der Nacht

Der bolivianische Schriftsteller (1921 – 1986) ist außerhalb Lateinamerikas kaum bekannt; der deutsche Unrast Verlag begann vergangenes Jahr mit der Edition seines Werkes.

"Die im Halbdunkel liegenden Räume sind groß, kalt und bedrückend leer ..."
"Neben der Tür ist eine Art Gang, dunkel wie ein Grab, der eigentlich ein abscheulicher Windfang ist und den die Señora und ihre Tochter benutzen, um Fleisch und Knochen aufzuhängen."
"Denn ich weiß bereits, dass die Dunkelheit ewig ist und das Leben ein Funke. Aber dieser Funke bedeutet mehr als alle Dunkelheit."

Diese Textstellen aus den beiden bisher auf Deutsch erschienenen Büchern von Jaime Saenz "beleuchten" ein wenig die Welt des schrulligen Bolivianers, der viele Jahre seines Lebens nur in der Nacht lebte. Er wohnte in La Paz, in einer Stipendiatenwohnung, die ihm der Staat auf Lebenszeit vermacht hatte, und verschlief den Großteil des Tages in dieser Wohnung. Erst nachts wurde Saenz aktiv, und diese Aktivität war das Schreiben. Er lebte nur für das Schreiben.
Dieser Lebensrhythmus prägte ganz offensichtlich auch die literarische Welt des Jaime Saenz, in der Nacht, Kälte, Ferne, dunkle Räume, der Tod zentrale Themen sind. Es ist eine ganz eigenartige Welt, in die uns der Bolivianer einführt, eine Welt fernab des bilder- und ideensprühenden magischen Realismus, die man sonst mit lateinamerikanischen AutorInnen verbindet. Eine eher langweilige Welt, in der nicht viel passiert, der äußere Handlungsablauf oft spröde und von Nichtigkeiten geprägt ist – und dennoch beginnt diese Welt eine gewisse Faszination auszuüben. Trotz der sparsamen und in einfacher, unprätentiöser Sprache erzählten Handlung gelingt es Saenz immer wieder, die Leserin, den Leser in einen schwer beschreibbaren imaginären Raum einzufangen, in dem alles möglich scheint. In jeder Zeile kann eine Überraschung lauern, kann die Geschichte eine andere Richtung nehmen. Unversehens führt uns der Autor in tiefschürfende philosophische Betrachtungen, die – wohl als Ausdruck seiner ironisch-kritischen Distanz zu allem Existierenden – immer wieder mit Banalitäten gespickt sind. Oder er überrascht mit genauer realistischer Beobachtung von Menschen – und lässt den Protagonisten in der nächsten Minute voll in die Absurdität des Lebens rennen. Wie das Absurde des Daseins überhaupt ein prägendes Element des Nachtmenschen Saenz ist. Und die zentralen Punkte unserer Existenz nichts weiter sind als eine Schimäre, die der kalte Hauch des Schicksals jederzeit wegblasen kann. "Hier bin ich nun, in diesen vier Wänden, und sinne über mein Schicksal nach, besser gesagt über das Grab", sinniert Herr Balboa im gleichnamigen Roman, nachdem er alle vier Balkone und zehn Fenster seines Hauses hatte zumauern lassen und nur mehr in der Dunkelheit lebte.
In deutscher Übersetzung – von Helga Castellanos und Christa Fabry de Orías – erschienen bisher "Die Räume" und "Der Señor Balboa"; weitere Publikationen von ihm sind in Vorbereitung. Jaime Saenz, der in Bolivien etwa 20 Bücher veröffentlichte – Prosa und Gedichtbände – blieb im außeramerikanischen Ausland bisher weitgehend unentdeckt. In Italien befasst sich seit zwei Jahren der Verlag Crocetti mit der Herausgabe seines Werkes; an der Harvard Universität bemüht sich der Literaturprofessor Forrest Gander, für den Saenz einer der großen Dichter der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts ist, den bolivianischen Autor bekannt zu machen.
"Die Räume" ist eine Satire auf die bolivianische Unterschicht und ihren Hang zum Mystizismus, doch ist Satire bei Saenz immer liebevolle Ironie, humorvoller Ausdruck der Liebe zum Menschen und dem Allzumenschlichen. Im scheinbar Geringen steckt das Wichtige, während sich das scheinbar Wichtige oft nur als naive Illusion erweist.
Auch im "Señor Balboa" steht die ironische Betrachtung existentieller Lebensbereiche im Mittelpunkt. Hier sind es die Institution Ehe und das Geschlechterverhältnis, das der Autor bis an die Grenze zur Boshaftigkeit seziert. Diese satirische Analyse ist immer wieder durchsetzt mit Dialogen, die um den Tod, das Grab, die immerwährende Nacht kreisen. Die Erben ließen dem Herrn Balboa folgenden Spruch auf den Grabstein schreiben: "Im Grab lebt das Leben. Es weiß, der Tod ist ein Gemütszustand."

Jaime Saenz: Die Räume (Los cuartos).

: Der Señor Balboa
- (El Señor Balboa).

Werner Hörtner, Lateinamerika anders

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