Bertie Marshall - Berlin Bromley

Bertie Marshall - Berlin Bromley
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Berlin Bromley Das Leben eines 15-Jährigen zwischen Punk, Straßenstrich und... mehr
"Bertie Marshall - Berlin Bromley"

Berlin Bromley


Das Leben eines 15-Jährigen zwischen Punk, Straßenstrich und Erwachsenwerden

London im Jahr 1976. Bertie Marshall ist 15 Jahre alt und beschließt, sich von nun an Berlin Bromley zu nennen. Berlin wegen der Hauptstadt der Goldenen Zwanziger, die ihn seit dem Film »Cabaret« nicht mehr loslässt, Bromley nach dem provinziellen Vorort, in dem er und seine Eltern leben.

Es ist das Jahr von Punk. Berlin lernt Siouxsie Sioux und die Sex Pistols kennen. Er wird Teil des berüchtigten »Bromley Contingent«, das den Sex Pistols auf jedes Konzert nachreist. Für Berlin hat 1976 jedoch noch sehr viel weiter reichende Folgen. Nach diesem Jahr wird nichts mehr sein, wie es vorher einmal war. Er entdeckt seine Homosexualität, taucht in die schwule Subkultur Londons ein und landet auf dem Straßenstrich. Vollgepumpt mit Speed findet er sich in fremden Betten wieder und nur noch selten den Weg zurück in sein Elternhaus. Gleichzeitig erzählt »Berlin Bromley« aber auch von einem androgynen, schüchternen und wortkargen Jungen, der sich am liebsten in Tagträume und alte Bücher flüchtet.

Bertie Marshall stellt sich mit »Berlin Bromley« souverän in die Tradition großer schwuler Boheme-Autoren wie Jean Genet und William S. Burroughs und hat zugleich seine eigene Sprache und seinen eigenen Kosmos gefunden – Bekenntnisse aus dem Herzen von Punk, ein rauschhaftes Fest der pubertären Desorientierung, das nicht nur Bertie, sondern eine ganze Generation in ihren Bann gezogen hat.

Wer einmal jung war und das Gefühl hatte, anders zu sein als der Rest der Gesellschaft, wird in dieser Stimme einen Freund und Verbündeten finden, den trügerischen, aber ungemein reizvollen Spiegel des Dorian Gray.

Mit einem Vorwort von Boy George. Aus dem Englischen von Conny Lösch.


Die Presse

»Marshalls Memoiren lassen sich in einem Atemzug mit Quentin Crisp und Jean Genets ›Tagebuch eines Diebes‹ nennen.« (Daily Telegraph)

»Die wunderbar ziellose Autobiographie eines Jungen, der nichts weiter tat als Pillen zu schlucken, Make-up zu tragen und auf den Strich zu gehen.« (The Independent)

»Das erfrischend ehrliche Bekenntnis aus einem drogengeschwängerten, ausschweifenden Leben.« (Time Out London)


Leseprobe

Es war Simons Idee. Wieder einmal waren meine Eltern irgendwohin gefahren und man hatte beschlossen, bei mir zu Hause eine Party stattfinden zu lassen.
»Berlin Baby Bondage Party« – man konnte sich verkleiden und seinen Lieblingsspleen oder seine bevorzugte Perversion zur Schau tragen.

Ich verbrachte den gesamten Nachmittag damit, jedes einzelne Möbelstück mit weißen Laken zu verhängen und den ganzen Schnickschnack in Schubladen zu verstauen. Nur die Gläser, Aschenbecher und den Plattenspieler ließ ich unbedeckt.
Einer nach dem anderen trudelten sie ein, um gemeinsam mit mir als Gastgeber aufzutreten. Siouxsie hatte sich für den Abend eine Schürze aus dickem Plastik angelegt, auf der ein Tetrapack schwarzer Johannisbeersaft der Marke Ribena abgebildet war, dazu Netzstrümpfe, hohe Hacken und sonst nichts. Mit ihren blonden und lilafarbenen Stachelhaaren und ihrem Make-up sah sie furchterregend aus, wie sie so da stand und ihre neunschwänzige Katze schwang. Es kam immer nur drauf an, was man anhatte.
Mit meinem blauschwarzen, kurzgeschnittenen Haar, dem sehr weißen Make-up und den purpurroten Lippen zwängte ich mich in einen schwarzen Catsuit aus Nylon, der mir wie angegossen passte. Dazu trug ich Kunstlederstiefel und einen dicken roten Gürtel um meine Siebzig-Zentimeter-Taille. Damals wog ich keine fünfzig Kilo.

Natürlich hatten wir Speed genommen und Simon hatte mir erzählt, dass die Pistols kommen würden. Er hatte ihnen weisgemacht, es sei eine Party zu ihren Ehren.
Zunächst saßen nur wir zwischen den Gespenstermöbeln und hörten Diamond Dogs, doch nach einiger Zeit tauchten immer mehr Leute auf. Ich kannte niemanden, es waren Freunde von Freunden.
Jetzt dröhnte »Raw Power« von Iggy Pop aus der Anlage … »Gimme danger little stranger.«
Ich wurde einem Mädchen namens Tracy vorgestellt, die gerade ihren Freund verprügelt hatte. Sie war groß und schlaksig, hatte riesige braune Kuhaugen und einen silber-platinfarbenen Bob. Sie kaute Kaugummi und sagte ausgesprochen gleichgültig »Hallo«.
Als nächstes kam ein kleines Spatzenmädchen in einem Herrenanzug aus den Fünfzigerjahren und Bürstenhaarschnitt auf mich zu. Sie knatschte wie eine Verrückte auf einem Kaugummi herum, war offensichtlich auf Speed und sagte, sie hieße Sharon, meinte dann: »Ich werde dich nie verlassen.« Ein sehr unheimlicher Satz, wenn er von einer Unbekannten kommt. Meinte sie, sie wolle die Party nie wieder verlassen oder was?
Das Haus wirkte allmählich wie ein Piratenschiff, über das ich die Kontrolle verloren hatte. Ich konnte nichts tun außer auszuflippen, Speed zu schlucken und mich heftigst zu betrinken.

Dann wurde ich Billy vorgestellt, einem Freund von Steve. Er war auf so eine verschrobene Art süß und sah aus wie Mister Spock. Dann trafen die Pistols ein. Paul war süß, fragte mich, ob alles klar sei. Steve Jones grunzte nur irgendwas und holte sich was zu trinken. Ich kann mich nicht erinnern, irgendein Wort mit Glen gewechselt zu haben. Zum Schluss kam Johnny.
Ich stand in der Küche, als Simon Johnny zu mir brachte, damit ich ihn kennenlernte. Er trug eine schwarze Baskenmütze, eine Spiegelbrille mit kleinen schwarzen Gläsern, ein schwarzes Gummioberteil, eine glänzende weite Hose und Fünfzigerjahre-Schuhe. Er war sehr dünn und hatte Brandwunden von Zigaretten auf dem Arm.
»Das ist also deine Party?«, fragte er verächtlich.
»Ja, aber Simon hatte die Idee.«
»Gehst du noch in die Schule?«, fragte er.
»Nee, bin schon vor Jahren ab.«
»Hoffentlich sind eure Nachbarn taub«, witzelte er.
Das Gespräch war nicht besonders denkwürdig, aber seine Ausstrahlung schon. Egal ob der Effekt durch Speed verstärkt wurde, oder ob es daran lag, dass er der erste war, den ich jemals auf einer Bühne hatte singen, beziehungsweise schreien sehen, er schien vor lauter Charisma zu glühen.

Schnipp schnapp zack, Siouxsie ließ die Peitsche schnalzen, schlug Striemen in die Styroporfliesen an der Zimmerdecke des elterlichen Wohnzimmers. Die Party drohte aus den Fugen zu geraten. Ich schlich von Zimmer zu Zimmer. Im ganzen Haus gab es nur sechs Räume, aber ich wollte die Geschehnisse im Auge behalten. Das Badezimmer war meistens abgesperrt, weil Steve Jones ständig Mädchen in der Badewanne vögelte …
Das Schlafzimmer meiner Eltern … Nils, der Roadie der Pistols, bumste im Bett meiner Eltern – könnte Jill Price gewesen sein, eine Freundin von Sharon, ihr Make-up war immer verschmiert und ihr Kleid rutschte ihr vom Körper. Sie torkelte auf ihren hohen Hacken herum und kam auf Nils mit dem Spruch zu, für den sie bekannt war: »Nils, hast du mal zehn Pence?« Jill brauchte ständig zehn Pence zum Telefonieren.
Paul, der etwas von einem aufgeregten Labrador-Welpen hatte, vögelte ebenfalls irgendwo … ich öffnete die Hintertür und sah, dass zwei es sogar unter dem viktorianischen Pflaumenbaum miteinander trieben.

Siouxsie hieb mit der Peitsche auf alles ein, was sich blicken ließ.
Es klingelte an der Tür. Ich lugte hinter den Spitzengardinchen hervor. Es war die Nachbarin, eine Mrs. Hall … sie hatte mich gesehen und verlangte, dass ich an die Tür kam. Ich ignorierte sie. Sie klingelte wieder.
»Wer zum Teufel ist das denn?«, fragte Siouxsie.
»Die alte Schachtel von nebenan«, bibberte ich.
Siouxsie ging zur Tür, ich versteckte mich hinter ihrer Schürze und den Netzstrümpfen …
»Mach sofort die Musik leiser oder ich ruf die Polizei!«, verlangte Mrs. Hall.
»Ach, verpiss dich!«, blaffte Siouxsie.
Mrs. Hall beäugte Siouxsies Aufmachung und ihre Netzstrümpfe.
»Was fällt dir ein, so mit mir zu sprechen … du … du … du … Schlampe!«, stieß Mrs. Hall hervor.
Ach du liebe Zeit!
»Wie haben Sie mich genannt?«, fragte Siouxsie.
»Eine kleine Schlampe!«, sagte Mrs. Hall, die vor Angst und Entrüstung zitterte, während sich ihre Augen hinter der Fünfzigerjahre-Flügelbrille mit Tränen füllten.
»Was fällt Ihnen ein, mich Schlampe zu nennen? Sie beschissene alte Kuh!« Mit diesen Worten beugte sich Siouxsie vor und schlug der alten Schachtel kräftig ins Gesicht, schleuderte ihre Brille in die nicht weit entfernte Ligusterhecke.
Mrs. Hall rannte heulend den Gartenweg entlang.
Siouxsie knallte die Tür zu.

Ich flitzte wie eine geistesgestörte Nachtigall von Zimmer zu Zimmer und erzählte allen, was passiert war. Ich hörte Marilyn Monroes »I Wanna Be Loved By You« aus meinem Schlafzimmerfenster dröhnen. Ich ging nachsehen.
Mein Zimmer war ein Schlachtfeld. Die Anlage stand auf dem Boden und all meine Platten lagen verstreut herum, meine Schubladen waren ausgeleert worden und mitten in dem ganzen Durcheinander saß Johnny und legte Speedlines auf den Rillen einer Platte, die sich mit 16 Umdrehungen pro Minute auf dem Plattenteller drehte.
Wieder fielen mir drei oder vier Zigarettenbrandwunden auf seinen blassen Unterarmen auf. Er sah mich an, grinste und schnupfte weiter.
Inzwischen fühlte ich mich vollkommen hilflos und wünschte nur noch, alle würden verschwinden.

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