Danny Morrison Der falsche Mann

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„Wer die Stärke der IRA begreifen, also die Menschen, die sie tragen, verstehen will,... mehr
"Danny Morrison Der falsche Mann"

„Wer die Stärke der IRA begreifen, also die Menschen, die sie tragen, verstehen will, lese dieses Buch.“ Die Wochenzeitung


Nordirland der achtziger Jahre: Die beiden IRA-Aktivisten Mallone und Massey leben, lieben und leiden unter den Widersprüchen, die ihnen die Existenz zwischen Krieg und Frieden, Aufbegehren und Konventionen im geteilten Belfast abverlangt. Morrison erzählt wie das vermeintlich sturmsichere Haus der IRA durch die Brutalisierung des Alltags und die permanente Angst vor Verrat von innen her ausgehölt wird, und wie groß in der Bevölkerung die Sehnsucht nach einem Ende des Bürgerkriegs ist.

Leseprobe
Róisín hatte die Schießerei gehört, und vor lauter Sorge war ihr schlecht geworden. Sie hatte Aidan hereingerufen. Er erzählte, er habe Raymond gesehen. Etwa zwei Stunden später kam eine Frau mit der Nachricht vorbei, daß Raymond das Gebiet sicher verlassen habe, aber nicht nach Hause komme könne, bis Soldaten und Polizei abgezogen seien. Im ersten Moment sorgte sie sich um ihn, dann war sie wütend, ihn verfluchend. Sie wollte etwas aus der Küche holen, nahm den Becher, den sie ihm in den Flitterwochen gekauft hatte, und warf ihn zu Boden.
Wie kann ich unter solchen Bedingungen lernen, schrie sie. Wie kann ich irgendwas mit meinem Leben anfangen.
Später nahm sie eine Tablette, um ihre Nerven zu beruhigen und ihr beim Einschlafen zu helfen, erwachte aber angeschlagen, als Aidan sie rüttelte.
»Mammy, Mammy, draußen sind die Brits!«
»Öffnen Sie die scheiß Tür, oder wir brechen sie auf! Öffnen Sie jetzt!« brüllte ein Soldat.
Sie stand auf und zog ihren Morgenmantel an.
»Ich komme, ich komme! Immer mit der Ruhe!«
»Sie öffnete die Sicherheitstür an der Treppe, ging zur Tür und entfernte die Riegel. Sie hatte den Bolzen kaum gelöst, als die Tür aufgedrückt wurde und sie an der Schläfe traf. Sie stürmten herein, und sie war außerstande, ihre Bewegungen einzudämmen oder zu überwachen.
Ein Polizist fragte: »Wer wohnt hier?«
»Ich, mein Kind und mein Mann.«
»Wo ist er?«
»Ich dachte, Sie wüßten das. Wissen Sie nicht alles?«
»Ab ins Wohnzimmer. Sie stehen beide unter Arrest, während wir durchsuchen.«
»Kann ich in die Küche?«
»Nein«, erwiderte der Polizist. Dann: »Haben Sie getrunken? Sie sehen betrunken aus.«
Sie ging darüber hinweg, war aber gekränkt.
Sie gingen nach einer Stunde.
Róisín war danach zumute, das Lernen ganz aufzugeben. Sie hatte versucht, ihr Bestes zu geben, doch ihr Wissen war teilweise lückenhaft, und sie war sicher, daß sie nicht genug wiederholt hatte
(…)
Selbst an Tagen, an denen Róisín wußte, daß die Ergebnisse unmöglich mit der Post kämen, ging sie beklommen in den Flur, nur um ins Wohnzimmer zurückzukehren, nicht erleichtert, sondern wütend auf alles und jeden. Aidan sah zu, wie sie eine Haarsträhne mit unnötigem Kraftaufwand zurücksteckte, spürte die Schärfe ihres Atems. Er lernte früh, sie in Ruhe zu lassen, und angesichts ihrer seltsamen Art die eigene Traurigkeit in sich hineinzufressen.
Raymond hatte geschäftlich jenseits der Grenze zu tun, als der Umschlag endlich ankam, genau in dem Moment, als sie sich eingestand, ohne ihn zu öffnen, was sie die ganze Zeit gewußt hatte – daß sie durchgefallen war. Sie warf ihn in den Papierkorb und fühlte sich sofort besser. Trotz des strahlend hellen und warmen Tages ließ sie ein sehr heißes Bad einlaufen, bestieg die Wanne und rekapitulierte ihr Leben, fühlte, die letzten paar Jahre vergeudet zu haben. Es fiel ihr ein, wie es als Alleinerziehende gewesen war, als Aidan am Wochenende abgeholt wurde, sie frei war, zu tun, was ihr gefiel. Das Leben allein war einfach gewesen, und die Einsamkeit ab und an konnte sie nun mit einem Berufsrisiko vergleichen, wie eine Erkältung zu bekommen. Sie rieb den Hals hart mit dem Flanellappen ab. Was wäre passiert, wenn Raymond an jenem Tag nicht geklopft hätte, um sich zu entschuldigen, daß er mit ihr bei seiner Freilassungsparty gestritten hatte? Hätte sie einen anderen getroffen, jemanden, der ihr das Gefühl von Sicherheit und wirklichen Trost und Vertrauen gegeben hätte?
Sie hob die Hinternbacken und seifte ihre Schamgegend ein, an Micky denkend. Sie hatte gehört, daß er und seine Frau Alice nicht klarkämen. Ob er je an sie dachte oder Bedauern empfand. Nachdem Micky und Alice eine Tochter bekommen hatten, sah er Aidan seltener, aber in den letzten Monaten hatte er den wöchentlichen Kontakt wiederaufgenommen und hing manchmal endlos am Telefon, wobei sie Tratsch über gemeinsame Freunde austauschten. Direkt nach diesen Anrufen war sie in Hochstimmung, aber die wich rasch dem Staunen darüber, wie häufig das eigene Ego sich bereitwillig der Selbsttäuschung hingab. Sie hatte nie damit gerechnet, daß Micky sie derartig behandeln würde, also konnte sie ihn nicht richtig gekannt haben. Kannte sie Raymond richtig? Ungläubig schüttelte sie den Kopf, als sie all die Qualen überdachte, die diese beiden Männer ihr zugefügt hatten – Micky mit seinen Frauengeschichten, Raymond mit seiner Vernarrtheit in Kanonen und Bomben und der Besessenheit von den Brits und der ‘RA, den Fernseh- und Radionachrichten, den Zeitungen.
Plötzlich fiel ihr der Umschlag von unten wieder ein und wieviel Hoffnung sie in das Stück Papier, das er enthielt, investiert hatte, wie diese Ergebnisse für drei Jahre ihres Lebens standen, einschließlich größerer Störungen, zu denen sie jetzt auch die verlängerte Farce der Ehe zählte.
Ein paar Tage zuvor hatte sie einen Mann im 60-Sekunden-Quiz im Radio gehört und, trotz ihrer trüben Stimmung, zunächst gelacht und ihn dann bedauert. Den Kandidaten wurden recht einfache Fragen gestellt, damit sie gut punkten, sich entspannt fühlen und es genießen würden.
»Was hat Little Bo Peep verloren?« fragte der Moderator.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, versetzte der Kandidat. »Könnten Sie die Frage wiederholen?«
»Wieviele Grafschaften hat Irland?«
»Sechsundzwanzig, oder?«
»Mit der Frage ist, glaube ich, ganz Irland gemeint.«
»Was, achtundzwanzig?«
»Was wächst auf Paddy-Feldern?«
»Mir liegts auf der Zunge … Nein, es ist weg.«
Und so weiter und so fort, bis der Summer ertönte und der sichtlich verlegene Moderator erklärte: »Na ja, Kevin, Sie waren nicht so gut. Von zehn Fragen war keine richtig beantwortet. Seis drum. Viel Glück beim nächsten Mal.«
»Ach, ja«, erwiderte der Mann resigniert, und Róisín schämte sich für ihn, obwohl er kein Zeichen von Demütigung spüren ließ. Ob er sich danach wegen seiner Antworten blöd vorkam und als Volltrottel, weil er seine Unzulänglichkeit öffentlich gezeigt hatte? Wie schaffte er es, den Leuten auf der Straße zu begegnen, Freunden und Verwandten, die Zeugen seiner hundsmiserablen Vorstellung geworden waren?
Der Umschlag von unten begann an ihrer Entschlossenheit zu nagen, und ihr dämmerte, wie albern ihr Standpunkt war. Die Leute würden fragen, wie sie abgeschnitten habe. Sie trocknete sich ab, hüllte sich in ein großes Handtuch und ging ins Wohnzimmer. Sie zupfte Fetzen eines Papiertuchs und Orangenschalenreste von dem Umschlag und holte ihn heraus. Riß ihn auf, aber bevor sie das Stück Papier entnahm, ging sie in die Küche und stellte den Wasserkocher an. Trommelte mit den Fingern auf die Arbeitsfläche und versuchte zu pfeifen. Das Wasser kochte, und sie brühte einen Kaffee, brachte die Tasse ins Wohnzimmer und stellte sie auf den Kamin. Entfaltete das Papier und las die Ergebnisse, ihr Herz hämmerte. Sie las sie immer wieder, bis sie begriff, daß es kein Vertun gab. Dann brach sie in Tränen aus und schluchzte, vor sich hin sprechend: »Du Scheißer, Raymond Massey. Du Scheißer.« Umklammerte die hochgezogenen Beine mit den Händen und schaukelte hin und her, Raymond immer wieder verfluchend.
Róisín war nicht lange draußen, als die innere Stimme wieder anfing zu reden

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