Michaela Seul Leben ohne Leander

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Ein Roman über die Tabuthemen Tod und Trauer. Michaela Seul versucht, das nahezu Unsagbare... mehr
"Michaela Seul Leben ohne Leander"

Ein Roman über die Tabuthemen Tod und Trauer. Michaela Seul versucht, das nahezu Unsagbare zu formulieren und bis in die Abgründe eines trauernden Menschen vorzudringen. Dort findet sie allerdings nicht nur Verzweiflung, sondern den Beginn eines Lebens, das durch die Erfahrung des Todes tiefe Bereicherung erfährt.

Leben ohne Leander ist ein aus der Ich-Perspektive geschriebener emotional aufwühlender Roman über die Bewältigung des Todes eines geliebten Menschen.
Trauer und Trostversuche, innere Leere und die permanente Anwesenheit des Toten, die Annäherung an das Phänomen Tod und die ersten „Gehversuche“ hin zur Bewältigung und einem neuen Leben - Michaela Seul versucht, das nahezu Unsagbare zu formulieren und bis in die Abgründe eines trauernden Menschen vorzudringen. Dort findet sie allerdings nicht nur Verzweiflung, sondern den Beginn eines Lebens, das durch die Erfahrung des Todes tiefe Bereicherung erfährt.
Gibt es eine intensivere Art, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen, als die, es von seiner radikalsten Perspektive zu betrachten, der seiner Endlichkeit, fragt die Autorin.
Sicherlich ein Buch, daß vielen Menschen bei ihrer Trauerarbeit helfen wird, aber auch ein Buch über die Liebe und die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit

Rezensionen

"Es ist ein hochsensibles, bis in die letzten Tiefen des Gefühls gehendes Buch, das unter die Haut geht. (...) Sehr behutsam geht M. Seul das schwierige Thema an, findet für die unendliche Trauer die richtigen Worte. Das Buch ist ein Gewinn für jede Bibliothek."
Dagmar Härter, ekz Informationsdienst

„Michaela Seul hat ein ganz wunderbares Buch geschrieben
– bissig bis zum Erbrechen und rührend zum Heulen.“
Papillon


Leseprobe

Zweiter Tag
Tomma war fort. So wollte ich es. Wollte wissen, wie es ist, allein in der Wohnung. Obwohl ich oft allein gewesen war, dieses Alleinsein war anders. Die Dinge sahen nicht mehr aus wie zuvor. Unsichtbare schwarze Schleier wehten durch die Luft. Atmeten den Verlust. Unsicher legte ich die CD mit unserer Lieblingsmusik ein. Wußte nicht, ob ich sie ertragen könnte, erinnerte mich an Trennungen ohne Tod, da fürchtete ich Musik, die mich erinnerte. Doch die Musik tat gut. Ich drehte sie laut, bis die Boxen krachten. Spürte dich. Ein Stück weiter entfernt als gestern, doch noch immer hier. Nicht angekommen an dem Ort, für den ich kein anderes Wort als Jenseits wußte, sondern suchend. Zurück, so wie ich es gestern empfunden hatte, wolltest du nicht mehr.
Ich legte mich auf den Boden. Dorthin, wo ich dich gefunden hatte. Ein guter Ort. Friedlich und überhaupt nicht bedrohlich. Jetzt schwanger sein! Das Kind käme mit dem Frühling. Es wäre das größte Geschenk, die größte Gefahr. Aber warum sollte ich diesmal schwanger sein, wo wir immer Glück gehabt hatten. Auch Glück bedeutete nun etwas anderes. Hätte ich ein Kind, dachte ich, wäre ich nicht allein, und im selben Atemzug: ich bin nie mehr allein, jetzt bin ich für immer verbunden.
Lang stand ich unter der Dusche. Das Licht im Bad ging an und aus. Etwas später entdeckte ich zwei kaputte Glühbirnen in verschiedenen Zimmern. Insgesamt sollten in fünf Tagen sieben Glühbirnen kaputtgehen. Ich duschte bis das Wasser kühl wurde, duschte den Boiler für uns beide leer, und dann nahm ich dein letztes Hemd und brachte es ins Krankenhaus, wo man dich zwischengelagert hatte, ehe man dich in die große Stadt überführen würde. Ich ging langsam. Die Tasche war schwer. Ich trug dein letztes Hemd durch die Stadt, die aussah wie immer. Frauen mit bunten Körben, leuchtende Frühlingsfarben, Motorräder. Vereinzelt Japaner mit schweren Fototaschen. Junge Familien mit Kinderwagen, und die Väter schoben. Alles war wie immer. Nichts war wie immer. Doch ich ging eingehüllt in dich. Du warst mit mir. Es kam mir vor, als paßte dieser Tod zu meinem Leben. Es war der erste tödliche Schicksalsschlag, doch in mir hatte es viele Tode gegeben. Bis ich Leander kennenlernte. Bei ihm war ich angekommen. Zum ersten Mal angekommen. Leander hatte die Scherben, die von mir übriggeblieben waren, gekittet. Es hatte lang gedauert. Jahre. Als der Kleber trocken war, hatte er mich verlassen. Wäre er drei Monate zuvor gestorben, hätte ich nicht so sicher gehen können. Leander war nicht mehr mein Felsen weit draußen in der Brandung. War es aber lang gewesen. Als ich es gemerkt hatte, war ich sehr erschrocken, denn es paßte nicht in das Bild, dem ich gerne entsprochen hätte. Ich hatte begonnen, mein Ufer zu suchen, eigenen Boden zu erobern. Zuerst ein kleiner Holzsteg, von dem Felsen zum Ufer. Brachte die ersten Sachen an mein Land, rannte immer wieder über den Steg und manchmal sogar in die andere Richtung, weit hinein ins Land, das aber fremd war und mir Angst machte, die ich wild tanzend zu überwinden suchte. Daß Leander immer da war, zu warten schien, machte mich sicher, obwohl ich wußte, seine Sicherheit durfte nicht meine sein. Nach und nach richtete ich mich häuslich ein auf meinem Boden. Indem ich mich niederließ, befreite ich Leander. Er brauchte nicht mehr zu kämpfen mit den Wogen. Ich brauchte ihn nicht mehr, um mich über Wasser zu tragen. Ich vertraute dem Meer, spielte mit den Wellen, und weil ich spielte, ließ es mir Land.
Ich ging auf das Gebäude des Krankenhauses zu. An der Anmeldung fragte ich nach dem Zimmer, das mir der Notarzt genannt hatte. Dort saß ein verwachsener junger Mann im Rollstuhl.
Ich bringe das letzte Hemd. Das letzte Hemd für Leander, sagte ich.
Können Sie nicht lesen! Ich öffne erst in einer Stunde!
Aber ich bringe doch … Tränen schossen mir in die Augen.
Ist schon gut, sagte der Mann.
Ich nahm das Hemd aus der Tasche und drückte es an mein Gesicht. Benetzte es mit meinen Tränen. Ließ mir die Zeit, die ich brauchte. Dann legte ich es auf den Tisch und ging. Drehte mich nicht um. Ging nach Hause, nannte es aber nicht nach Hause, sondern zurück. Konnte mich eine Stunde später nicht erinnern, den Weg gegangen zu sein. Dachte aber, daß es mich noch härter treffen könnte. Leander war tot, doch ich lebte und war gesund und hatte ein denkmalgeschütztes Dach über dem Kopf, genug zu essen, Freunde und Arbeit. Fremde Schicksale fielen mir ein. Wenn Menschen alle Angehörigen auf einmal verloren. Im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Nichts standen. Was, wenn Tomma verunglückte. Was, wenn …
Ich war nicht lange fort gewesen, doch wieder hatten sieben Menschen angerufen. Ein Freund von Leander sprach mehrere Minuten auf Band. Ich hatte ihn verkannt. Worte können nicht trösten, das hatte ich oft gehört, doch es gab Menschen, die Worte sagten, die mich erreichten. Worte, die ausdrückten, was ich empfand. Von Menschen, die keine Furcht hatten, sich einzufühlen, keine Furcht, ihre Abgründe zu benennen. Es waren wenige. Ansonsten viele Allgemeinplätze, in hohle Stimmen gewickelt. Sie ließen mich meinen Schmerz noch greller empfinden. Kein Leander in der Küche, dem ich zurufen konnte: Stell dir vor, was für einen Quatsch der erzählt! Kein Leander, der sagte: Leila, er meint es nicht so, er kann nicht anders.
Ich ging ins Studio. Überall Fremde. Tontechniker, die ich nie zuvor gesehen hatte, schleppten Kabel und beugten sich über Mischpulte. Alles ging weiter. Ging weiter, als lebte Leander. Der kaufmännische Leiter, von dem Leander sich hatte trennen wollen, weil er ihn nicht mehr ertragen konnte, umarmte mich als sei ich verseucht. So nah war er mir noch nie gekommen. Ich setzte mich auf Leanders Stuhl und hörte mich von seinem Tod erzählen. Während ich sprach, fühlte ich Kälte. In diesem Moment begann ich, die Menschen in kalt oder warm aufzuteilen. Ich hatte immer gewußt, daß dies ein kalter Mensch war, auch Leander hatte es gewußt und darunter gelitten. Ich konnte sehen, daß der kaufmännische Leiter an Geld dachte. Daß Leander für ihn nur aus zu regelnde

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